IranKachel

 

Greta

Godberg

 

 

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Ghashgai-Nomaden nahe Shiraz

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-- Textauszüge --

Stern erwacht

 

I R R F A H R T

 

IRRFAHRT

Roman

(Ausschnitt)

Die ausgestorbene Stadt

Die Straße nach Kazerun war kaum befahren. Bis auf wenige Lieferwagen mit Gemüseladungen und einem Bari mit Schafen begegneten ihm hauptsächlich Militär-autos. Als er Kazerun erreichte, die sonst so lebhafte Bazarstadt der Gashgais, allein die Nomaden in ihren farbprächtigen Gewändern gaben ihr den idyllischen Charakter, darüber hinaus war sie kaum sehenswert, fand er sie leer und ausgestorben vor. Es war inzwischen Mittag geworden, der Muezzin rief zum Zwölfuhr-Gebet, aber Stern sah niemanden durch die Gassen zur Moschee eilen. Die Lähmung, die über der Stadt lag, beunruhigte ihn nicht nur, sie ließ ihn beinahe außer sich geraten. Er selbst hatte sie ja seit Monaten verspürt, Lähmung im Wechsel mit Rastlosigkeit. Als brenne ihm der Boden unter den Füßen und er müsste, sich zu retten, Hals über Kopf vor einer Katastrophe davonlaufen. Und welche? Betraf sie das Land, betraf sie ihn selbst? Er wusste es nicht - außer dass er über einen Erdbebengürtel fuhr, eingeschüchtert. - Er hatte Mühe, einen geöffneten Laden zu finden. Ein junger Mann, der betonte, es gut mit ihm zu meinen, gab ihm den Rat, so rasch wie möglich nach Shiraz aufzubrechen, um der eigenen Sicherheit willen, mehr könne er ihm nicht sagen. Als Stern insistierte, setzte er schließlich ein vages Sholuch hinzu, dieses Unruhewort, das zu allem und nichts nütze war, Wissen oder Befürchtung signalisierte. Immerhin verhalf er ihm zu ein wenig Proviant, Eier, Butter, Joghurt, ein paar Konserven, indem er in einer Seitengasse an die verriegelte Tür eines Ladens schlug, wieder und wieder mit der flachen Hand und mit beruhigenden, oder zutreffender, einschmeichelnden Worten. Stern wollte schon gehen, da wurde die Tür geöffnet, aber ehe er eintreten durfte, redete der Ladenbesitzer lange und verschwörerisch im Flüsterton auf den jungen Mann ein. Als der ihm am Ende einen Teppich aufschwatzen wollte, so einschmeichlerisch und geduldig wie er zuvor an die Ladentür geklopft hatte, übertölpelte Stern ihn mit dem Hinweis auf die von ihm vorgeschlagene Flucht in die Provinzhauptstadt, ein schlagendes Argument, sie trennten sich freundschaftlich, Hand aufs Herz. Eher durch Zufall entdeckte er an der Ausfahrtstraße, dort, wo die Auto-Reparaturstätten lagen, einen geöffneten Brotladen. Durch einen Türschlitz wurde schweigend, es war ein gespenstischer Vorgang, den Kunden Fladenbrot herausgereicht; auch Stern wurde bedient, höflich-distanziert, die Männer, die anstanden, ließen ihm sogar den Vortritt, und so war er fürs erste wieder einmal ausgerüstet, in der Lage, die wenigen, noch vorhandenen Vorräte für weitere Tage zu strecken. Ohne einen Blick zurück verließ er den Ort, in dem ihm auf so eindrückliche Weise vorgeführt worden war, dass im Land durchaus nicht jener, von offizieller Seite propagierte "Normalzustand" herrschte, und wie hilflos er sich in seinem Bemühen fühlte, die politische Lage richtig einzuschätzen.

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