Autorin auf Fähre vor Kap Dukato (Lefkas/Griechenland)

 

Greta

Godberg

 

 

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Vor dem Sheikh-Safi-Mausoleum in Ardebil/Nordwest-Iran - Sept_2006

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R e i s e n

- Von Casablanca bis Kyoto -

 

 

I r a n - R e i s e   2006

Drei Monate Reise mit dem Kleincamper zum und durch den Iran

(Zurückgelegte Kilometer: 16500)

 

Vorbemerkung: Dies soll kein Reisebericht sein mit minutiöser Schilderung der einzelnen Stationen, sondern eine lockere Zusammenstellung von Reiseeindrücken in Form von Rundbriefen, Tagebuch- und Randnotizen und mit dem Ausschnitt einer Lesung in Köln. - Sie gibt einen Überblick über eine Reise mit unserem Ford-Transit-Campmobile nach Ancona in Italien, mit türkischer Fähre an die Westküste der Türkei und durch Anatolien bis in den Iran, wo wir zwei Monate lang das Land erkundeten und dabei ca. 7500 km zurücklegten.

 

  Hinweis: Fotos mit Rahmen kann man durch einen Klick auf das Foto vergrößern!

 

 

Schlafen in der Wüsteneinsamkeit
Schlafplatz südlich von Shiraz

 

SMS kurz vor der türkisch-persischen Grenze am 12. September 2006:

Hallo, Ihr Lieben in Deutschland! Nach 5 Tagen Fahrt durch die Türkei und 2 Ruhetagen in Kappadokien nähern wir uns nun der iranischen Grenze bei Bazargan. Greta bindet schon das Kopftuch. Grüße aus OstAnatolien,
Eure Greta und Rüdiger

 

Aus den Rundbriefen von unterwegs

 

  Rundbrief   I

Shiraz, 7.Oktober 2006

Liebe Freunde, schon fällt es mir (R.) schwer, euch nicht auf Persisch zu begrüßen: SALAM, Hale shoma hube? (Grüß Gott, wie geht's!)

Inzwischen sind wir in Shiraz bei der Mutter unserer persischen Freundin Massi eingetroffen und mit umwerfender Gastfreundschaft aufgenommen worden. Hier spricht kaum einer eine europäische Sprache, so dass sich unsere FARSI-Kenntnisse zwangsweise verbessern müssen. Highlight nach der von schwerem Durchfall etwas versäuerten Woche in Teheran war eine Woche in ISFAHAN, dieser wunderbaren Stadt, nach einem persischen Sprichwort auch "Hälfte der Welt" genannt. Wir wohnten in einem Apart-Hotel (Schlafzimmer und Wohnzimmer mit integrierter Küche) 30m vom Hauptplatz der Stadt mit Moscheen, Palast und Eingang zum Bazar entfernt. Da wir uns seit 2 Wochen im Fastenmonat befinden, blieb mittags nur das Super Hotel ABBASI mit seinem Paradiesgarten, einer ehem. Karawanserai für einen Imbiss zwischen den Sights. Wir haben uns für diese Stadt, die wir nunmehr fast 40 Jahren kennen und sehr lieben, viel Zeit genommen.

 

Unser Paradies-Garten
Garten im Abbasi-Hotel

 

Inzwischen graut es mir nur noch vor dem völlig chaotischen Verkehr in Teheran, den sich niemand vorstellen kann, es sei denn, er hätte ihn selbst erlebt. Heute haben wir übrigens unser Visum - mit Freundeshilfe nur 3 Stunden! - um 36 Tage verlängert: So lange wollen wir eigentlich gar nicht bleiben, allein schon aus Bargeldmangel, denn mit Reisechecks oder Kreditkarten kann man ja hier wegen der schlechten Beziehungen zur USA nichts anfangen. Aber nur Allah weiß es!

Shiraz, 9.Oktober 2006

Sobh-e-cheir, dust-e-ma - Guten Morgen, Freunde! Wie ihr am Datum sehen könnt, befinden wir uns immer noch in Shiraz. Unsere Gastfamilie lässt uns einfach nicht gehen. Wir wollten morgen weiterreisen, aber dem steht eine Einladung von einem weiter entfernten Familienmitglied entgegen. Und übermorgen - nein, da hat Ali, der älteste Sohn der Familie Geburtstag, ihr könnt doch unmöglich ... zumal euer Visum um 36 Tage verlängert ist, ihr habt doch noch soviel Zeit. So einfach ist das!

 

Alis Geburtstag in Shiraz in "bescheidenem" Rahmen
Alis Geburtstag in Shiraz

 

Und einfach ist auch mit wenigen Einschränkungen das Reisen im Land. Alle unsere Bedenken vor der Reise sind hier ins Nichts zerflossen. Wir sind - oder sind es längst nicht mehr - überrascht, mit welcher Selbstverständlichkeit wir uns hier mit unserem Camper bewegen und zu Hause fühlen. Die Freundlichkeit der Menschen kommt uns dabei natürlich sehr entgegen. Wir sind HIER, basta, und das Gefühl ist umwerfend.

Mit der Kleiderordnung komme ich gut zurecht. Zwar tragen doch noch sehr viele Frauen den Tchador oder kleiden sich in schwarze Gewänder, die jungen Frauen zum Teil in eng taillierte halblange Mäntel, im Gegensatz dazu sind sie sehr gekonnt und auffällig geschminkt. Aber man lässt auch farbfreudigere Kleidung gelten. Meine Blusen mit langen Ärmeln habe ich bisher kaum getragen, nur T-Shirts mit halblangem Arm, eine Weste dazu und das obligatorische Kopftuch. Inzwischen bin ich so daran gewöhnt, dass ich selbst bei sommerlichen Temperaturen nicht mehr den Impuls habe, es mir herunterzureißen.

Zur Gesamtsituation im Lande etwas zu sagen, wäre voreilig. Was uns als erstes ins Auge sprang, ist das ständige Unterwegssein der Massen, die große Freizeitwanderung. Die Iraner sind immer schon gern zum Picknick ins Grüne gefahren, vor allem zu Nouruz, dem persischen Neujahrsfest. Aber was wir jetzt hier vorfanden, übertraf alle unsere Vorstellungen. In der (Rest)Ferienzeit kampierten in den Parkanlagen der Städte, ja, sogar auf den Bürgersteigen Völkerscharen, gingen raschen Schritts oder joggten am Morgen - so erlebt in Täbris - zu fetziger Musik um den großen Teich, die Frauen z.T. im Tchador (für alle 1 Toilette!). An den Wochenenden zieht ein Völkerstrom in die Teheraner Berge, überflutet die schmalen Wege der Darband-Schlucht. Zum Freitagsgebet der großen Moschee in Isfahan strömen Heerscharen herbei, von rechts über den Platz kommend die Männer (auf zig Motorrädern), von links die Frauen in Schwarz. Unser Eindruck: ein überwiegend junges Volk (70%) in Bewegung - aber wohin? Das müssen wir noch ergründen.

 

Auf dem Weg zum Gebet in der Imam-Moschee in Isfahan
Isfahan, zum Gebet in der Imam-Moschee zu Ramadanbeginn

Das wars fürs erste. Wir grüßen Euch ganz herzlich, Khoda-Hafis, Gorban-e-shoma, Dast-e-shoma dard nakon! - Auf Wiedersehn, danke (hier: fürs Lesen), mögen Eure Hände niemals schmerzen!
Greta und Rüdiger

 

  Rundbrief   II

Göreme/Türkei, 17.11.06

An alle, die mit Anteilnahme unsere Reise verfolgt haben, hier unser 2. Bericht!

Liebe Freunde,
nun haben wir 9 Wochen IRAN "bestanden" und sind schon - durch das leicht verschneite Ost-Anatolien - wieder in "Voreuropa" angekommen: Etwas IRAN-müde und das nicht nur vom täglichen Kampf mit den üblichen Tücken des Reisens in fremden Landen. "Gibt es denn hier mal irgendetwas, das komplikationslos  oder ohne unvorhersehbare Überraschungen zu machen ist??", war ein geflügeltes Wort tagtäglich. - Da wir noch weit entfernt davon sind, aus der Flut der Erfahrungen einen Gesamteindruck zu "verfassen", hier als kleiner Ersatz der Jubelausbruch von R. nach einem kurzen Alleinrundgang durch die türkische Grenzstadt Dogubayazit: "Stell dir vor, DIE (gemeint die türkischen Autofahrer) halten sich an Fahrstreifen und rote Ampeln, und man kann die Straße wieder - ohne sich als gejagter Hase zu fühlen - überqueren. Und weißt du, mir sind wieder lachend-lächelnde Gesichter und Frauen mit wehenden Haaren begegnet."

IRAN hat sich geändert,
gegenüber unseren "Träumen" zum Nachteil:
Die Bevölkerungsexplosion nach dem Irak-Krieg hat aus Dörfchen Städte, aus der 3Mill.-Stadt Teheran einen 15Mill.-Moloch, aus einst leeren Wüstenebenen bestellte Felder mit kleinen Dörfern, aus ehemals einsamen Sights Siedlungs-(sogar Hochhaus-) umstellte, laute Orte gemacht (z.B. das berühmte Grab von Kyros, d.Gr. oder die Türme des Schweigens bei Yazd).
So mussten wir uns schon in die große Salzwüste Dascht-e-Lut begeben, um einsame Straßen und Sternenhimmel-Übernachtungsplätze zu finden.
Die Disziplin/Rücksichtslosigkeit und Chaotik im Verkehr (mit Mill. von alten Schrott-Peykans und neuen Peugeots - beide im Land produziert) findet man heute nicht nur in Teheran, sondern fast überall. So danken wir Gott, dass wir dieses Land ohne Unfall überstanden haben!
Die Mullahkratie hat bewirkt, dass Straßen, Plätze, Bazare SCHWARZ von Frauen sind, immer wieder aber - in den letzten Jahren - unterbrochen von Kopftuchschönen mit viel hervorbrechendem Haar und überperfekter Gesichtskosmetik (bis hin zu Madonna-Lippen!) - die kleine Freiheit!!

Modernes Pärchen am Abend in Shiraz
Modernes Pärchen am Koran-Tor in Shiraz

Es gibt keine weiblichen Popstars (selbst das öffentliche Hören - Auto - von arab./türk./auslandsiran. Sängerinnen kann zu schweren "Konflikten" führen) und keine Rad/Moped-fahrenden Frauen: absolut verboten. Klar! Gab's ja zu Mohammeds Zeiten noch nicht!

gegenüber unseren "Vorurteilen" zum Vorteil:
Die Tatsache, dass 70% der Bevölkerung unter 25 sind und die (schon unter dem Schah begonnene) Alphabetisierung durchgreifend Erfolg hatte, bewirkt - unter anderem - dass man auf viel neugierige und offene Jugend trifft. Wenn man wollte, könnte man sich von Tag zu Tag in anderen Familien aufhalten und bewirten lassen.
Wir haben ganz wenige Erlebnisse gehabt, die man mit religiösem Fundamentalismus in Verbindung bringen könnte. Selbst bei einer Trauerprozession (Imam Alis Tod) mit den bekannten Selbstgeißelungen (die wir sogar zu Schahs Zeiten nur ganz vorsichtig fotografiert hatten) wurde ich (R.) vom "Dirigenten" eigenhändig mitten ins Gewühl gezogen und zum Filmen aufgefordert. - Dagegen ist uns viel echte oder ritualisierte Religiosität begegnet, z.B. das kurze Zurückziehen des jungen Familienvaters zum Gebet vor dem Auftragen des Abendessens in Kerman ODER der Massenansturm von Männern und Frauen zum Freitagsgebet - am Anfang des Fastenmonats - auf die (Ex-Schah)Imam-Moschee in Isfahan. Viele Widersprüche gehen mir durch den Kopf, aber nun überlasse ich Greta das Feld ...

Fliegender Wechsel von Rüdigers VOR-Analyse zum Mini-Reisebericht
Wie Ihr merkt, bemühen wir uns immer noch, das sperrige iranische Puzzle zusammenzufügen. Nach 7 Wochen waren wir so voll von Eindrücken, von der Auseinandersetzung mit dem Land, seinen Menschen und ihrer Lebensart (insbes. der Frauen), auch in der schon so lange währenden politischen Situation, dass wir glaubten, nichts mehr aufnehmen zu können. So haben wir uns in den letzten 2 Wochen in und auf uns selbst zurückgezogen und nur noch das "Reisen an sich" genossen: Unseren Wüstentrip, die vielfältigen Formen und Farben der Wüste, Dünengürtel, Gebirgsketten und bizarr aufragende Felsen, rostrot, grün, kohle- (oder von Marmoreinschlüssen) elfenbeinfarben, die Schönheiten in der Ödnis; dazu die Weite der (meist trockengefallenen) Salzseen, Ockerfelder, rissig, weiß überpudert, mit Inseln dunkler Erde darin; eine Nacht in einer Oase, den Geruch der Kamele in der Nase und das Glockengebimmel im Ohr wie ein Wiegenlied; oder eine Nacht allein unterm Sternenhimmel, am Fuße einer aufragenden Düne, um 2 Uhr nachts noch einmal die Autotür geöffnet und die Stille und die milde Luft eingeatmet.

Erster Schnee auf dem Elburs-Gebirge nördlich von Teheran
Teheran, Blick auf den beschneiten Elburs von Tajrish aus

Zum Schluss noch einmal TEHERAN mit dem die Stadt überragenden Elburs-Gebirge, das sich Tag für Tag mehr mit Schnee bedeckte; das nostalgische Herumstromern in unserem  - immer noch recht abgelegen und verträumt wirkenden - ehemaligen Wohnviertel: unser Haus existiert nicht mehr, aber der - sehr fromme - Besitzer eines neuerbauten Hauses gab mir zum Abschied zwar nicht die Hand (da er als verheirateter Mann fremde Frauen aus religiösen Gründen nicht berühren darf), doch er gab uns - wie zum Ausgleich - eine große Tüte mit Kaki-Früchten von "unserem", in seinem Garten stehengebliebenen Baum.

Ich könnte noch viel mehr berichten, lasse aber Weiteres für das Wiedersehen. Sicher wird uns nach so viel Weite und Unterwegssein - nach der ersten Wiedersehensfreude mit Euch und unseren Lieben - der Eingesperrtsein-Katzenjammer überfallen. Wir werden wohl noch 2 Wochen brauchen, um über Griechenland und Italien nach Hause zu kommen. (Die Fähre von Ceşme/Türkei nach Ancona hat "Winterferien".) Zum 1. Advent, spätestens zu Nikolaus, wollen wir wieder vor Ort sein.
Bis dahin grüßen Euch aus der Wunderlandschaft Kappadokiens, herzlich Eure
Greta und Rüdiger

P.S. Übrigens kann man sich im Iran, falls man nicht das seltene Pech hat, politisch anzuecken, so sicher wie in Abrahams Schoß fühlen. Beim Picknick oder Verweilen am Straßenrand bleibt man völlig ungestört. Kein einziges Kind kam jemals angerannt und bettelte um "cigarette" oder "bombom". Nur sehr vorsichtig und rücksichtsvoll umwanderten auf öffentlichen Plätzen einige Neugierige unser Auto und bestaunten es und seine Insassen dazu, einleuchtend im Zeitalter der Flugreisen und des Mangels an fremden Autos oder gar Wohnmobilen im Iran, bisher jedenfalls!

 

Aus dem Reisetagebuch

 

  Isfahan (Auszüge)

Isfahan 29.9. 2006, erster Freitag im Ramadan (23.9.-23.10.2006)

Ist es Party? Ist es "Running for Event"? fragten wir uns beim Frühstück in unserem Apartment, als vom großen Platz - Meydan-e-Iman (früher Meydan-e-Shah) - ein stetes, nach und nach sich steigerndes Klack-Tack-Geräusch zu uns herüber drang, ein Hämmern wie aus dem Schuhmacher-Bazar, untermalt von an und abschwellendem Gemurmel, Stimmen. Es ist Freitag, der wöchentliche Gebetstag mit Ansprachen/Predigten in den Moscheen. Dorthin gehen, so die leicht zynischen Worte eines iranischen Bekannten, seit der Revolution zusammen mit streng Gläubigen auch weniger religiös Eingestellte, allein schon, "weil doch sonst nichts Aufsehenerregendes in diesem an Freizeitmöglichkeiten armen Land passiert, oder man sich ganz einfach zeigen muss"!

Natürlich konnte es nicht "Running for Party" sein. Heute gab es einen speziellen Anlass zum Besuch des Freitagsgebets, tatsächlich ein "Muß", vor allem im streng religiösen Isfahan. Begangen wurde der erste Freitag im Ramadan. Wie es hieß, sollte einer der bekanntesten Imame in der prachtvollen Moschee am Platz, der Iman-Moschee, die Freitagspredigt halten.Wir hatten mit großem Zulauf gerechnet, zumal wir bei unserem Rundgang durch die Moschee vor wenigen Tagen, den Innenhof mit aufgestellten Bänken und darüber gespannten Zelttüchern vorgefunden hatten. Aber was schließlich an diesem Vormittag passierte, übertraf unsere Vorstellungen bei Weitem. Aus halb oder ganz Isfahan, so schien es, strömten die Gläubigen über den berühmten zweitgrößten Platz der Welt zur Moschee, eine Abstimmung für Allah - oder den islamischen Staat - mit den Füßen, dem Fahrrad, Motorrad (der Platz ist inzwischen, abgesehn von einer Durchgangsstraße, für Autos gesperrt).

 

Ramadanbeginn in Isfahan - Männerseite
Ramadanbeginn in Isfahan - Männerseite

 

Ramadanbeginn in Isfahan - Frauenseite
Ramadanbeginn in Isfahan - Frauenseite

Die Männer strebten dem Haupteingang zu, die Frauen dem ihnen vorbehaltenen Seiteneingang, gemäß dem Anlass natürlich im schwarzen Tschador. Bald schon war die vorherrschende Farbe ringsum schwarz, schwarz trotz der bunten Blumenrabatten auf grünen Rasenflächen, den Wasserbecken mit emporschießenden Fontänen, den Moscheekuppeln und Minaretten. Und das Schwarz vertiefte sich noch, je mehr der weitläufige Platz sich füllte. "Tschador wehe, wehe", fiel mir ein, denn tatsächlich wallten und flatterten die Stoffbahnen beim raschen Gehen. Uns verwunderte der rasche Gang in den beschwerlichen "Umkleidungen", so leicht, so zielstrebig. In früheren Zeiten trugen zumeist Frauen mittleren Alters oder ältere den Körperschleier, gingen eher behäbig oder gar schwerfällig ihren Weg. Diese Frauen jedoch, es fiel uns umgehend nach der ersten Verwunderung ein, waren (wie 70% der iranischen Bevölkerung) überwiegend jung, daher die Leichtfüßigkeit. Lauffreudig eilten sie in vorwiegend schicken, hochhackigen Schuhen, von denen man hier und da die Spitzen hervorlugen sah - hämmernd, hämmernd - ihrem Ziel zu. Wir liefen, oder man könnte auch sagen "marschierten", mit ihnen bis zum Eingang. Selbstverständlich mussten wir als Nicht-Muslime draußen bleiben. Ein wenig beobachtet, jedoch in Ruhe gelassen von Polizei und Armee, schauten wir uns die aufgebauten Devotionalienstände an mit Büchern, Gebetsblättern, Plakaten und Heiligenbildern: Khomeini, Khomeini über alles.

Der "Gottesdienst" begann pünktlich, gegen 12.00 Uhr, der üblichen (leicht variierenden) Gebetszeit. Er wurde nach draußen übertragen, der Platz hallte wieder vom Gesang des Vorbeters, sehr melodisch, geradezu inbrünstig gesungen, wir hätten uns gerne, wie früher, in ein Teehaus, gesetzt und mit geschlossenen Augen gelauscht, aber es gab keines und ohnehin waren alle Geschäfte, alle Cafés und Restaurants geschlossen (und werden es im Übrigen für die Zeit des Ramadan tagsüber auch bleiben). Was uns aus der erhebenden Stimmung riss, war die über eine Stunde dauernde Predigt. In das Lob Allahs konnten wir ja noch einstimmen, jedoch die anschließenden, mit schriller, teilweise kippender Stimme wieder und wieder herausgeschrienen Drohungen gegen die Feinde des Islam, die Ungläubigen, gipfelnd in den bekannten Rufen "Tod Amerika, Tod Israel", trieben uns Schauer über den Rücken, die Unisono-Antworten der Gläubigen fast noch mehr als die des Predigers. Es ist schon ein Unterschied, ob man eine solche Sequenz im Fernsehen sieht und hört, oder mittendrin ist im Geschehen und die Welle aus Hass und Fanatismus über einen hinweg rollt.

Wir hielten es nicht lange aus, gingen zum Apartment zurück, glücklich über seine Nähe zum Platz. Wir stiegen aufs Dach und genossen den unverstellten Blick auf die Kuppel und die Minarette der Shah-Moschee, ja, so nennen wir sie auch heute noch, allein schon in Erinnerung an seinen Erbauer Shah Abbas den Großen (1771-1829). Wir standen und staunten - wieder einmal. Und von ganz nah, auf Augenhöhe. Wir hätten fast hineingreifen können in ihre so vielfältig, so fein gefügten Mosaiken auf türkisfarbenem Grund. Und dazu - Allah sei Dank - drang die Predigt gemildert zu uns herüber.

 

Zum Greifen nah!
Kuppel der Shah-Moschee vom Hoteldach

Zum Fastenbrechen im Garten des Abbasi Hotel (Zettelnotiz)

Ich habe mich immer danach gesehnt, den Iran, unser Haus in Teheran, Isfahan mit seinen Moscheen und Gärten wiederzusehen, insbesondere die Medresse (Madar-e-Shah) mit ihrer unvergeichlichen, mit Blütenampeln geschmückten Mosaikkuppel. Jetzt sitze ich hier mit Blick auf eben jene Kuppel im Paradiesgarten des Abbasi Hotels, warte auf den abendlichen Gebetsruf, umgeben vom Plätschern der Springbrunnen. Um mich herum die gedeckten Tische und die mit Sitzkissen bedeckten Bänke der Tschai Chaneh (Teehaus); aus dem Lautsprechern dringt persische Musik, überflutet den Garten - und ich genieße, BIN DA, und denke mit immer wiederkehrendem Erstaunen, wie leicht, wie selbstverständlich es war, hierher zu kommen, ganz so, als sei es NICHTS, ein wundervolles, ins Gegenteil verkehrtes NICHTS (wenngleich erst nach 27 Jahren, aber hier, in diesem Garten, diesem Augenblick scheint es so, als habe sich nichts verändert, als hätte es die Jahre dazwischen gar nicht gegeben). Was interessiert mich - persönlich! - die rigide körperverdeckende Kleiderordnung (für mich nur halb so streng!), die bisher die Touristen abgehalten hat hierher zu kommen, das Kopftuch spüre ich nicht mal mehr.

Abend im Abbasi-Garten
Abend im Abbasi-Garten

Später: Der Azan (Ruf zum Gebet), jetzt im Ramadan besonders vielstimmig, da von Isfahans zahlreichen, auch kleineren Moscheen, laut herüberklingend, dauerte lange, etwa eine halbe Stunde. Nach der Hälfte der Zeit, als die Dämmerung hereinbrach, konnten wir uns aus der Teestube eine Schale Suppe holen, sehr nahrhaft und lecker mit Nudeln, Kichererbsen, Bohnen, vielerlei Kräutern. Ja, man holt sich die Suppe selbst in diesem 5Sterne-Hotelgarten, wie schön.Während des Essens gingen die Lichter an, und nicht nur der Garten, auch die Kuppel der Medresse nebenan war plötzlich erleuchtet: Was für eine Atmosphäre, in der wir nach dem Genuss der Suppe unseren Tee gesüßt mit Kandiszucker trinken!

Abend-Tee im Abbasi-Garten
Greta nimmt Ihren Abend-Tee im Abbasi-Garten

 

1. Oktober 2006

Am Morgen, als wir zum Platz gingen, um die von uns vielbewunderte Lotfullah Moschee zu besuchen - die wir wegen eines "sehr bewegten", von fern an menschliche Gestalten erinnernden Schmuckdetails im Innenraum, die "Moschee der Tanzenden" nennen - stolperten wir in unserer schmalen Gasse beinahe über eine Menschenansammlung. Dicht gedrängt in langer Schlange standen Frauen im Tschador vor einem Teppichgeschäft, warteten ganz offensichtlich darauf eingelassen zu werden. Was, so fragten wir uns, ging hier vor? Der sehr freundliche Inhaber hatte uns bereits zwei Mal zum Tee eingeladen - als "gute Freunde". Nachdem wir ihm von unserem jahrelangen Aufenthalt zu Shahzeiten in Teheran erzählt und er unseren Wink (mit dem etwas übertriebenes Sprüchlein: schade, schade, aber wir könnten unsere gesammelten Teppiche übereinanderlegen!) verstanden hatte, machte er keinen Versuch uns zum Kauf zu animieren. Stolz und tatsächlich ohne Absicht, zeigte er uns während eines Rundgangs durch die Räume einige exquisite Stücke. Wir bewunderten sie, saßen danach entspannt beisammen, tauschten familienbezogene Infos aus (einer seiner Söhne war mit einer Japanerin verheiratet!) und sprachen - erstaunlicherweise wie selbstverständlich - über die politische Situation im Iran, wobei unser Freund keinen Hehl daraus machte, den "alten Zeiten" nachzutrauern.

Am Spätnachmittag, nach Moschee- und Palastbesuch (Palast Ali Qapu) mit anschließender Siesta, gingen wir erneut zum Platz, die erste Kühle, den bald anstehenden Gebetsruf zum Fastenbrechen und die damit verbundene geschäftige Atmosphäre zu genießen. Vor dem Teppichgeschäft trafen wir auf unseren Freund. Mit einem Glas Tee in der Hand stand er im Eingang des Ladens, die Frauen waren verschwunden. Auf unsere Frage nach ihnen, führte er uns zu einem Innenhof des Gebäudes.

Islamisches Gebot zur Wohltätigkeit
Ausuebung des Islamisches Gebots zur Wohltätigkeit

 

Wir staunten nicht schlecht.Wir schauten auf einen respektablen "Berg" Reis, umgeben von aufgehäuften Säcken in verschiedenen Farben. Zwei seiner Angestellten füllten Reis in Tüten und noch bevor unser Freund zu Erklärungen ansetzte, verstanden wir - mit dem Bild der Tschadorfrauen vor Augen - was hier passierte: Zakat, eine der fünf Säulen des Islam, die soziale Pflicht, Bedürftigen und Armen etwas vom eigenen Besitztum abzugeben, sei er groß oder klein. Jedes Jahr während des Ramadan verteile er diese Lebensmittel, sagte unser Freund: Reis, Bohnen, Öl u.a., die Portionen variierten nach Größe der Familien. Dazu, und auch um doppeltes Abholen zu vermeiden, müssten die Bedürftigen allerdings Ausweise vorlegen. Wir waren - ja, baff, angesichts dieser Großzügigkeit, fragten aber auch nach den Kosten für ihn. Er zuckte nur mit den Schultern: Es sei "Charity" und ein persönliches Bedürfnis zu helfen, und außerdem, so viel koste es übrigens nicht, etwa 1500 Euro.

Noch während wir im Innenhof standen, erklang - wie direkt in unser Ohr hinein, da das Geschäft nur einen Steinwurf weit entfernt von der Shah-Moschee liegt - der Gebetsruf zu uns. Der Freund, auf dem Sprung zum Gebet, fragte, ob wir vorhätten, in einem Restaurant hier am Platz essen zu gehen. Ja, genau das wollten wir, da wir am Vorabend nahe der Medresse in unserem bereits seit der "Vagabundenzeit" geliebten Schahrzad-Restaurant (Scheherazade, die Wände ausgemalt mit Szenen aus der Kadscharenzeit) gegessen hatten und zwar das besonders wohlschmeckende Khoresht-e-Fesendschan, Hühnchen mit Walnüssen und Granatapfelmark/sirup. Ah gut, meinte er, wenn wir iranisches Essen liebten, könnte er uns ein neues Restaurant empfehlen, gelegen auf der anderen Seite des Platzes in einem von den Arkaden abgehenden Innenhof nahe der Lotfullah Moschee, Obergeschoss.

Fastenbrechen im traditionellen Restaurant
Rue im überfüllten traditionellen Restaurant

Es war ein guter Tip. In orientalischer Atmosphäre und in Gemeinschaft mit all den ausgehungerten Fastenbrechern, aßen wir - leider wegen des Andrangs NICHT (im Schneidersitz) auf einer der mit Teppichen bedeckten Takhten niedergelassen - außer einer Portion Kebab Soltani, Grüne Klößchen: Reiskugeln im Kräutermantel, sehr lecker. Den Tee tranken wir in einem kleinen Laden im Innenhof, das Gluckern und Sprinkeln aus Wasserspeiern im Ohr und, wenn wir die Köpfe hochreckten, die Spitze der erleuchteten Lotfullah-Kuppel im Blick. Gelungener Tag!

P.S. Mittags, in den Arkaden, hatten wir einen Deutsch sprechenden Geschäftsmann getroffen. Er war auf dem Weg zu einer Imbissstube, in der man Suppe zum Mitnehmen kaufen konnte, gedacht für jene, die nicht zum Fasten verpflichtet sind, z.B. Kranke, oder Reisende, natürlich auch Fremde. Ob er krank sei, fragten wir ihn. Nein, das nicht, aber hungrig und nicht sehr religiös, er äße die Suppe heimlich im Hinterzimmer seines Geschäftes. In der Öffentlichkeit zu essen sei natürlich unmöglich, für Fremde zwar nicht verboten, aber … ja, wir wussten, dass es zumindest als "unschicklich" galt. Aus Neugier begleiteten wir ihn zum Imbiss, erstanden einen Becher Suppe und trugen ihn im undurchsichtigen Plastikbeutel "nach Hause". - Die Suppe war dünn, roch wenig appetitlich und am Rand des Bechers prangten in blassem Braun die Fingerabdrücke des Verkäufers. Wir schütteten sie weg und aßen zu übrig gebliebenem Fladenbrot vom Frühstück Dosenwurst aus unseren heimischen Lebensmittelbeständen. Um so mehr mundete uns nach dem kargen Mittagsmahl das abendliche Essen im "Orient-Restaurant".

2. Oktober 2006

Heute abend, nach dem Genuss der nahrhaften Suppe im Abbasi-Garten - unseren Mittagssnack hatten wir außerhalb Isfahans im Auto verzehrt, Äpfel und Bananen - kam eine Gruppe junger Musikstudentinnen auf uns zu, fragten höflich-zurückhaltend, ob sie ein wenig mit uns sprechen dürften. Wir hatten gerade unseren Tee bekommen und sie entschuldigten sich viele Male wegen der Störung, zögerten. Wir bedeuteten ihnen sich zu uns zu setzen, versicherten ihnen, dass wir uns über ihre Gesellschaft freuten. Sie waren so jung und liebenswert, so wagemutig in ihrem, wie sich rasch herausstellte, dürftigen Englisch, dazu, wie es schien (und sich bestätigte) von Herzen dem fremdem Besucher zugeneigt und - nachvollziehbar in einer so hermetisch abgeschlossenen Gesellschaft - auch neugierig. Es gibt ja zur Zeit nur wenige Touristen im Iran, mit ihnen zusammen zu sein, ist, besonders für Mädchen und Frauen schon so etwas wie ein Abenteuer. Für junge Männer ist die Kontaktaufnahme viel selbstverständlicher, aber auch routinierter, ihnen reicht häufig die Anwort auf ein "Where are you from?", man fragt halt zum Zeitvertreib (was für die Angesprochenen auf Dauer recht lästig sein kann!). Diese jungen Frauen aber wollten wirklich wissen, wie es in der westlichen Welt zugeht. Wie wir leben, wie frei wir sind, in allem. Natürlich fragten sie auch, ob und wieviele Kinder wir hätten, und dass es nur eines war (immerhin ein Sohn!!) entlockte ihnen ein ungläubiges, fast erschrecktes Oh. Dass wir mit dem Auto in den Iran gekommen waren, von Deutschland durch all die dazwischen liegenden Länder hindurch - sie konnten es kaum fassen, wurden ganz still vor Ver- und Bewunderung. Erst ganz zum Schluss stellten sie die Frage, die man uns sonst häufig als erstes stellt: How do you like Iran?

Studentinnen des Isfahan-Konservatoriums
Studentinnen des Isfahan-Konservatoriums suchen unsere Gesellschaft

Ich sah ihnen hinterher, als sie nach mehrfach wiederholtem Dank: merci, merci! und dem Wunsch: mögen ihre Hände niemals schmerzen! durch den Garten fortgingen, hoffnungsvolle junge Frauen. Hoffnung auf einen Job nach Abschluss einer guten Ausbildung (dafür hat der Islamische Staat mit seinen zahlreichen, auch für Frauen aus dem Boden gestampften Universitäten und Ausbildungsstätten landesweit, jedenfalls gesorgt, nicht jedoch für selbstverständliche Anstellungen), eine Heirat mit einem verständnisvollen Partner, der nicht auf seine ihm laut Gesetz zugestandenen Vorrechte pocht, ihnen nicht, bei einer etwaigen Trennung das Kind oder die Kinder "entwendet" (was nach dem siebten Lebensjahr der Kinder sein verankertes Recht ist). Ich wünschte ihnen von ganzem Herzen die Abschaffung des Urteils: halb so viel wert! - Spät am Abend vor dem Einschlafen sah ich sie noch einmal vor mir, wie sie um uns herum gesessen hatten in ihrer von der Jugend bevorzugten Kleidung, Jeans oder knapper Hose, dem obligaten Mäntelchen über den Shirts, dem mehr oder weniger haarverhüllenden Kopftuch, dazu leicht geschminkt, was im Augenblick geduldet wird. Lässig hatten sie auf mich gewirkt, keineswes eingeschüchtert, und doch: bei aller Kunst des (Über)Schminkens, war es der jungen Setarspielerin nicht gelungen, das blaugeschlagene Auge zu verdecken, ein Hämatom, das sich bis hin zum Kopftuchrand ausgebreitet hatte.

 

"Freie Fahrt im Land der Mullahs"

Aus einer Lesung am 26. August 2012 im Café Libresso, Köln

Nach Wochen des Reisens durch den Iran zu Ramadanende zurück in Isfahan:
  …die Fastenzeit hat uns kaum im Reisen beeinträchtigt. Dank unseres Campers waren wir, was die täglichen Mahlzeiten betraf, ja immer autark. Trotzdem, als ich nach Fastenende in einem wieder geöffneten, über dem Bazargewölbe Isfahans liegenden Café unter blauem Himmel in der Sonne saß, legte ich einem Augenblickimpuls folgend, mein hauptbedeckendes Schamtuch ab, zog meine Weste aus und genoss, frei und unbedeckt an Kopf und Gliedern den Tee und die dazu gereichten iranischen Süßigkeiten. Geradezu diebisch glücklich ließ ich meine Blicke - so wie früher viele Male - über den weiträumigen von Moscheen, Palästen und Bazargewölben eingefassten Platz schweifen, auf dem es ebenso betriebsam zuging wie zu Ramadan-Beginn.

Warten auf eine Kutschenfahrt
Anstehen fuer eine Kutschenfahrt um den Shah-Platz in Isfahan

Doch welch ein Unterschied. Heute tummelte sich dort ein buntgemischtes Publikum. Zahllose Besucher waren mit ihren Kindern zu den Brückentagen nach Isfahan gekommen, standen in langen Reihen an, um in Pferdekutschen um den Platz gefahren zu werden. Das war PARTY, zweifellos! Und was war es zu Anfang des Ramadan gewesen, der schwarzgewandete Aufmarsch? Echte Frömmigkeit oder Frömmigkeit im Gewand des Events, Demonstration den Nachbarn, dem Staat gegenüber, bei dem ein Familienmitglied in Lohn und Brot stand? Ich weiß es bis heute nicht! Nur eines weiß ich, habe es erlebt: dass rigide Einschränkungen und Verbote von Seiten des Staates die Menschen zwar beeinträchtigen, ihnen aber nicht jegliche Lebensfreude nehmen können, ja, dass sie das, was möglich ist, um so intensiver erleben und genießen …

Der Mullah und Ich

Ich betrat den Eingang zur Imam Moschee in Isfahan, und da saß er auf einer Steinmauer, ein Mullah. Wie alt? Geschätzt: Mitte des Lebens. Er grüßte freundlich, geradezu einladend - auf Englisch. Und dieses Englisch sprach er fließend, wie sich schnell herausstellte. Wir waren uns sofort sympathisch, tauschten unsere Lebensdaten aus, erst unsere, dann seine. Er war Vorsteher einer kleinen Moschee, sein Einkommen reichte gerade zum Leben. Frage: Warum sprach er so gut Englisch? Antwort: Ganz einfach, er hatte englische Literatur studiert, bevor er sich für den "Mullah-Beruf" entschied. Warum? Aus Frömmigkeit? Ja, schon! War er zufrieden? Pause. Er sei, sagte er schließlich, nicht einverstanden mit der Engstirnigkeit, die der Gottesstaat an den Tag legt. Er befürworte einen liberalen Islam, der jedem seine eigene Meinung gönnt, einen Islam, der eine weniger strenge Auslegung der Schriften zulässt und keine Zensur ausübt. Und warum, bitte schön, sollen Frauen draußen wie Gespenster herumlaufen!

Mullah - offen und freundlich
Englisch sprechender Mullah in der Shah-Moschee

Wir waren uns im Gespräch jetzt so einvernehmlich nahegekommen, dass wir uns beinahe die Hände gereicht hätten. Da es sich nicht schickte, fing er an, uns Komplimente zu machen, uns als Paar, mir als, wie er sagte, intelligenter Frau, die einem Mann das Wasser reichen kann. Er sah mich wohlgefällig mit einem Funken des Flirtens in den Augen an. Ich fasste es nicht. Schliesslich war er ein Diener Allahs und hätte - vermutlich - mein Sohn sein können. Sie müssen mich besuchen kommen, auf jeden Fall! - Tut uns leid, wir reisen morgen ab, in den Süden. Dann, wenn sie wiederkommen! Hand aufs Herz!

Drei Wochen später zu Ramadan-Ende, waren wir wieder in Isfahan. Wir hatten nur wenige Tage eingeplant und in die passte der Mullah nicht hinein. Eines Mittags suchten wir in einem idyllisch gelegenen, jedoch absolut überfüllten Restaurant nach einem freien Tisch. Als ich im Begriff war, auf einen zweiten Flügel des Restaurants zuzugehen, kam mir auf der dazu führenden Brücke ein Mann entgegen, eine kleine kräftige Gestalt, Jeans, kurzärmeliges Hemd. Mitten im Durchgang breitete er die Arme aus und versperrte mir somit den Weg. Ich war wütend und wütend sagte ich in meiner Muttersprache: Was soll das, hast du sie noch alle, du A …! Da lachte er, wir sahen uns an und ich erkannte "meinen" Mullah. Was tat er hier, wozu diese Verwandlung? Ganz einfach, er müsse sich ein wenig Geld dazu verdienen, und da kämen die Feiertage genau richtig. Nachdem er uns einen Platz besorgt und die Bestellung aufgenommen hatte, sagte er: In drei Tagen bin ich hier fertig. Mein Haus steht Ihnen offen. - Tut uns leid, Hussein-Mullah, übermorgen müssen wir abreisen. Dann, wenn Sie wieder in den Iran kommen. Versprochen, Hand aufs Herz.
Allerdings - wann wird das sein? Ob es den Gottesstaat dann noch geben wird?

 

Tee-Genuss nach Ramadanende am Shah-Platz in Isfahan
Greta in der Tschai-Chaneh über dem Bazar-Eingang am Shah-Platz

Zu unserer jüngsten Reise nach Persien im Jahr 2019 finden sich Beiträge unter  Iran 2019  auf dieser Website.

 

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